Kampfkunst
Beinschere vietnamesisch

Quelle: http://www.fr-online.de/fr-online ( Autor: Johannes Kral / Datum: 9. Mai 2012 )

Springen, klammern, boxen, abrollen: Die fernöstliche Kampfkunst-Sportart Vovinam verlangt ihren Meistern und unserem Autor viel ab. Ein Testtraining

Runter kommen sie immer - auch beim Vovinam.
Runter kommen sie immer - auch beim Vovinam.
Foto: Michael Schick

Dinh Du Tran fokussiert mit seinen dunklen Augen den Gegner. Er holt noch einmal tief Luft. Dann sprintet er in hohem Tempo auf sein Gegenüber zu. Er springt ab und dreht sich in der Luft in die Waagrechte. Mit den Füßen voraus fliegt er seinem Gegner entgegen. Er landet auf dessen Schultern und umklammert mit den Beinen Hals und Nacken. Dann reißt Dinh Du Tran ruckartig seinen Oberkörper herum. Tan Long Nguyen landet mit einem lauten Klatschen auf der Matte.


Foto: Michael Schick

Don Chan heißt diese Technik auf Vietnamesisch: eine gesprungene Beinschere, mit der geübte Vovinam-Künstler ihre Gegner kampfunfähig machen können. Der 23-jährige Dinh Du Tran und sein „Opfer“ Tan Long Nguyen (20) sind Meister ihres Faches. Seit mehr als zehn Jahren trainieren sie bei der TSG Nordwest ihre Kampfkunst-Fähigkeiten.

Problemzone Gürtel

An diesem Montagabend werden sie mich nun in die Künste ihrer Sportart einführen. In der Sporthalle der Grundschule am Riedberg findet wie jede Woche das Vovinam-Training statt. Eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn treffe ich mich mit Dinh Du Tran in der Umkleidekabine. Und das zeitige Kommen war mehr als notwendig, wie sich schnell zeigt. Schon das Anlegen des Vo-Phuc, des traditionell blauen Vovinam-Anzuges wird zur unlösbaren Herausforderung für mich. Hose und Kittel überstreifen ist noch kein Problem, aber wie schafft man es, den Cap, den Gürtel, so zu binden, dass der ganze Stoff auch zusammengehalten wird?

Dinh Du Tran kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, angesichts meiner dilettantischen Versuche den Cap irgendwie festzuzurren. Hilft nix! Irgendwann lass ich mir entnervt vom Trainer den Gürtel um die Hüften schwingen und mich professionell verschnüren. Es ist ein gelber Cap, eigentlich Zeichen eines geübten Kämpfers. Der blaue Anfängergurt war zu kurz für mich. Und so erwecke ich zumindest kleidungstechnisch den Eindruck, dass hier kein Vovinam-Novize am Werk ist.

Um Punkt sieben geht das Training endlich los. Ich bin hochmotiviert: Gleich darf ich ungehemmt schlagen, kicken und boxen. Aber so schnell wird daraus doch nichts. Es geht erst mal ans Aufwärmen. Ein Marathon an Übungen beginnt: erst zwölf Liegestütze, dann zwölf Sprünge mit angezogenen Beinen hinterher. Dieser Vorgang wiederholt sich unzählige Male.

Trainieren mit den Meistern - Vovinam in Bildern

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Schläge aus der Hüfte

Dann, nach einer guten halben Stunde, werden Matten ausgelegt, Hindernisse aufgebaut, die 20 Teilnehmer zwischen neun und 40 Jahren in drei Gruppen aufgeteilt, je nach Trainingsstand.

An drei Stationen üben wir in den folgenden 60 Minuten Grundtechniken des Schlagens, Fall- und Verteidigungstechniken. Meine erste Station sind die Grundtechniken. Ich habe mich den „Bim-Bam-Binis“ angeschlossen und trainiere vorsichtshalber mal in der Gruppe für Kinder ab fünf Jahren mit. Eigentlich bin ich mit 27 etwas zu alt für diese Klasse, vom Leistungsniveau her fühle ich mich aber hier noch am ehesten aufgehoben.

Alle Schläge müssen aus der Hüfte kommen. Ich soll immer dahin schauen, wohin ich schlagen möchte, und nicht in die Luft. Auch soll ich aufhören wie ein Roboter zu schlagen, es braucht mehr Dynamik, meint Trainer Tan Long Nguyen. Ja, ist gut jetzt, denke ich mir und verpasse ihm einige Kicks in die Schaumstoff-Pranke. Dann geht’s schnell weiter zur nächsten Station.

Das Fallen und richtige Abrollen wird jetzt einstudiert. Ich springe über einen Polsterhocker, lande auf dem angewinkelten rechten Arm und mache dann über die rechte Schulter eine Art Purzelbaum. Ganz gut für den Anfang, attestiert mir der neunjährige Konstantin.

Vovinam in Hessen
Seltene Kunst

Die vietnamesische Kampfsportart ist im Rhein-Main-Gebiet im Gegensatz zu Judo, Ju-Jutsu und Taekwondo noch nicht sehr verbreitet. In Frankfurt bieten drei Vereine verschiedene Trainingskurse für Teilnehmer zwischen fünf und 80 Jahren an.

Frankfurt I

TSG Nordwest 1898 e.V.
Weißkirchener Weg 12
60439 Frankfurt am Main

069/570471
vovinam@tsg98.de

www.tsg98.de

Frankfurt II

TSG Fechenheim 1860 e.V. Pfortenstraße 55 
60386 Frankfurt am Main

069/418171
info@tsg-fechenheim.de
www.tsg-fechenheim.de.

Frankfurt III

SG 1877 Nied e.V.
Oeserstrasse 74
65934 Frankfurt am Main

069/391716
geschaeftsstelle@sgnied.de

www.sgnied.de

Haare ziehen von vorn

An der dritten Station stehen Verteidigungs- und Befreiungstechniken auf dem Programm. Ich trainiere mit der 21-jährigen Hoang-An Do. Zum Einstieg üben wir ein wenig Nam toc truoc – Haare ziehen von vorn mit rechts. Ich packe Hoang-An Do am Schopf, und innerhalb von Sekundenbruchteilen liege ich auch schon wie ein volltrunkener Marienkäfer auf dem Rücken. Gar nicht gut für das männliche Ego, von einem Mädchen mal schnell aufs Kreuz gelegt zu werden. Aber egal. Mit Genickhebeln und Polizeigriffen kann ich mich später noch rächen.
Dann ist meine erste Vovinam-Trainingsstunde auch schon vorbei. Allzu ungeschickt hätte ich mich nicht angestellt, meinen die Trainer. Nach etwa einem halben Jahr Übung könnte ich wohl an der ersten Blaugurt-Prüfung teilnehmen. Und was zu tun ist, wenn mich wieder mal eine unverschämte Göre an den Haaren zieht, weiß ich jetzt schon.